Nachruf Prof. Dr. theol. Dr. phil. Siegfried Keil

Prof. Dr. theol. Dr. phil. Siegfried Keil
* 24. April 1934 in Kiel; † 14. Februar 2018 in Marburg

Am 14. Februar 2018 verstarb Prof. Dr. theol. Dr. phil. Siegfried Keil im Alter von 83 Jahren. Die Disziplinen Sexualethik und Sexualpädagogik in Deutschland haben einen gesellschaftlich engagierten Fachmann und Pionier christlich verantworteter sexueller Selbstbestimmung verloren.

1934 in Kiel geboren, studierte Siegfried Keil zunächst von 1954 bis 1959 evangelische Theologie und von 1959 bis 1961 Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und schloss beide Studiengänge mit der Promotion ab. Nach einer Tätigkeit Gemeindepfarrer und Gründungsmitglied der christlichen Pfadfinderschaft in Preetz (Schleswig-Holstein) übernahm er 1965 eine Assistentenstelle im Fachbereich Sozialethik der theologischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg. Siegfried Keil nutzte seine theologische und sozialwissenschaftliche Kompetenz, um die in Jugendarbeit und Diakonie Anfang der 1960er Jahre aufbrechenden Emanzipationsbewegungen sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftspolitisch zu unterstützen. 1966 erschien im Kreuz-Verlag sein Buch „Sexualität – Erkenntnisse und Maßstäbe“, in dem er die bürgerlich-christliche Sexualmoral als historisch gewordenes Normensystem dekonstruierte und dafür eintrat, Menschen durch ethisch legitimierte erfüllte Sexualität ein gutes Stück Lebensglück zu ermöglichen. Mit dieser für die damalige Zeit unglaublich progressiven Forderung widersprach er deutlich den dominanten Moralvorstellungen, auch den Positionen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zahlreiche Anfeindungen waren sicherlich auch ein Grund dafür, dass Keil die ursprünglichen Pläne zu einer Habilitation über emanzipatorische evangelische Sexualethik fallen ließ und 1969 schließlich mit einem unverfänglicheren Thema über „Mensch und Gesellschaft in der Christlichen Sittenlehre Friedrich Schleiermachers“ in Marburg habilitierte.

Die Zeit war damals weder in der verfassten evangelischen Kirche noch in der akademischen Theologie reif dafür, die „Freiheit eines Christenmenschen“ (Luther 1520) auch auf den Sektor der Sexualtäten und Liebesweisen zu beziehen. In der ersten, von Siegfried Keil maßgeblich mitgestalteten Denkschrift der Evangelischen Kirche zur Sexualethik im Jahr 1971 sind allerdings erste Spurenelemente davon herauszulesen. Keil gab den Wunsch einer Berufung auf den angestrebten Lehrstuhl für Sozialethik in der Marburger theologischen Fakultät zunächst auf und folgte nach seiner Zeit als Direktor der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung im Rheinland (Düsseldorf) 1973 einem Ruf zum ordentlichen Professor für Sozialpädagogik an die Pädagogische Hochschule Dortmund, die kurz darauf in der Technischen Universität Dortmund aufging. Erst nach diesem Umweg über die Pädagogik erhielt Keil 1985 die angestrebte theologische Professur an der Philipps-Universität Marburg.

Die Sozial- und Sexualpädagogik profitierte in diesem Jahrzehnt des gesellschaftlichen Aufbruchs von dem wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Engagements Keils erheblich. Nicht nur hochschulpolitisch hatte sich Keil als Rektor der PH Dortmund im Transformationsprozess zur Universität hervorgetan, sondern ebenso als Gründungsdirektor des dortigen sozialpädagogischen Forschungsinstituts wie auch als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats im Bundesministerium für Familien, Jugend, Frauen und Senioren. Zusammen mit den Professor*innen Rita Süßmuth, Ferdinand Menne und Dieter Höltershinken und den Assistent*innen Dr. Uwe Sielert und Dr. Heinrich Winter warb Siegfried Keil eine Vielzahl von Forschungs- und Modellprojekten in den Bereichen Sexualpädagogik, Familienbildung und Schwangerschaftskonfliktberatung ein. Der bekannteste und umfangreichste Auftrag war das „Modellprojekt zur Erarbeitung sexualpädagogischer Materialien für die außerschulische Jugendarbeit“, vergeben vom damaligen Jugend- und Familienminister Dr. Heiner Geißler. Als Folge dieses deutschlandweit agierenden Handlungsforschungsprojekts erfuhr die professionelle Sexualpädagogik mit den Gründungen des Instituts für Sexualpädagogik Dortmund und der Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp) sowie zahlreichen didaktischen Materialien und Fachbüchern einen deutlichen Innovationsschub.

Siegfried Keil war wie kaum einem anderen Zeitgenossen das Kunststück gelungen, Wissenschaft (in zwei Disziplinen), kirchliches und gesellschaftliches Engagement, Interessenpolitik für Jugendliche und Familien sowie Politikberatung zu einem Ganzen zu verbinden. Er war ein zutiefst liebenswerter „Mittler“ zwischen den Disziplinen, Generationen und politischen Interessengruppen. Er konnte zuhören, sich in verschiedene Positionen einfühlen, hat sich dennoch nie vor kritischen Fragen und auch nicht vor kritischen Kommentaren gescheut. Siegfried Keil hat sich nie dazu verleiten lassen, etwas „besser“ wissen oder andere belehren zu wollen, wohl aber hat er mit wachem Verstand und mit klaren Argumenten jeweils für seine Position geworben. Allein seine Persönlichkeit und seine humanistische Haltung als Experte für Themenzentrierte Interaktion diente vielen seiner Mitarbeiter*innen und Weggefährt*innen als gutes Beispiel, in einer sich zunehmend singularisierenden Gesellschaft für Verständigung und Konsens zu werben.

Siegfried Keil gehört zu den ganz großen und unvergesslichen Pionieren der Sexualpolitik und -pädagogik in Deutschland. Die Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp) ist ihm zu Dank verpflichtet und wird ihn bleibend in Erinnerung behalten.

Für den Vorstand

Prof. Dr. Uwe Sielert

1 Gedanke zu „Nachruf Prof. Dr. theol. Dr. phil. Siegfried Keil“

  1. 1958 lernte ich als langjähriges Mitglied der Christlichen Pfadfinderschaft (CP) in Regensburg und dann an der Ostsee in Eckernförde (und während meines Wehrdienstes an Marineschule) in Flensburg unseren damaligen noch sogenannten Landesmarkführer für Schleswig-Holstein kennen und auch schätzen. Er hat mich sehr darin unterstützt, meinen Weg nachträglich aus der Bundesmarine in die Soziale Arbeit zu finden, wo wir uns in Marburg an der Lahn wiederfanden. Diesen Umweg von der damals eher noch bündischen Jugend über die Bundesmarine und den ehemaligen Mariner Martin Niemöller in die Soziale Arbeit verdanke ich nicht nur meiner mennonitischen Herkunft, sondern sehr wesentlich auch Siegfried Keil, bis ich schließlich nach 25 den Wehrdienst an der Waffe nachträglich verweigerte – und damit auch wieder von solchen Freunden kritisiert wurde, die mir als jungem Mann für den freiwilligen Wehrdienst Vorwürfe gemacht hatten.

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