Der hier vorgelegte Ethikkodex formuliert ethische Maßgaben für das professionelle Handeln von Sexualpädagog:innen der gsp, wohl wissend, dass durch Selbstverpflichtung nur eine Annäherung nach bestem Können, Wissen und Gewissen gelingen kann. Der Text dient der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der sexualpädagogischen Berufspraxis und wird aufgrund neuer Erfahrungen und Erkenntnisse kontinuierlich weiterentwickelt.
Alle Mitglieder erkennen die berufsethischen Standards an. Für alle Sexualpädagog:innen/Q-Siegel-Träger:innen sind diese handlungsleitend.
Sie werden alle drei Jahre auf der Mitgliederversammlung anlässlich der Wahl der Mitglieder des Ethikausschusses diskutiert und ggf. aktualisiert.
1.1. Sexualpädagog:innen der gsp orientieren ihr Handeln an rechtlichen Grundsätzen. Dazu zählen insbesondere die (sexuellen) Menschenrechten und die Rechte reproduktiver Gesundheit, die Kinderrechts- und die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, das Grundgesetz der Bundes republik Deutschland sowie die Gesetze, in denen die Verwirklichung der sexuellen Selbstbestimmung durch Sexualaufklärung und sexuelle Bildung eine Rolle spielen.
1.2. Sexualpädagog:innen der gsp beziehen ihren professionellen Auftrag aus den vielfältigen Herausforderungen, die sich aus sich stetig verändernden Sozialisationsbedingungen für sexuelle Selbstbestimmung und die Teilhabe- und Bildungsinteressen der Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft ergeben.
1.3. Sexualpädagog:innen der gsp unterstützen Menschen durch ihr professionelles Handeln respektvoll bei der Entwicklung und Gestaltung ihrer sexuellen Identität, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Beziehungs- und Lebensweisen sowie aller körperlichen, psychischen, sozialen und moralischen Kompetenzen, die sie zur Gestaltung ihrer Sexualität benötigen.
1.4. Sexualpädagog:innen der gsp bieten eine Dienstleistung, die – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, geistigem und körperlichem Zustand, sozialer Lage, Religion, Weltanschauung oder sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität – von jedem Menschen in Anspruch genommen werden kann und niemanden ausschließt. Die Professionsangehörigen arbeiten diskriminierungssensibel, reflektieren ihre eigene Position kritisch und bemühen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Diskriminierungen entgegenzuwirken.
1.5. Sexualpädagog:innen der gsp setzen sich für sexuelle Bildung in allen Handlungsfeldern des Erziehungs-, Bildungs- und Sozial- und Gesundheitswesens ein und helfen bei der Qualifizierung der dort tätigen Fachkräfte, so dass diese in der Lage sind, mit vielfältigen Lebensweisen möglichst professionellwertschätzend umzugehen. Sie arbeiten insbesondere in frühpädagogischen, schulischen und außerschulischen Bereichen, in der Kinder- und Jugendhilfe, in Aus- und Weiterbildung, in der Erwachsenenbildung, im Gesundheitswesen sowie in der Behinderten- und Altenhilfe.
1.6. Sexualpädagog:innen der gsp engagieren sich gegen alle Formen sexualisierter Gewalt. Sie setzen sich für die Sichtbarmachung und Beendigung solcher Gewaltverhältnisse ein und wirken präventiv für deren Vermeidung. Besonderes Augenmerk liegt bei diesem Wirken auf dem Schutz von Kindern und hilfe- bzw. pflegebedürftigen sowie in anderen Abhängigkeitsverhältnissen lebenden, vulnerablen oder marginalisierten Personen. Sexualpädagog:innen der gsp stärken nachhaltig die Selbstschutz kompetenzen ihrer Adressatinnen und decken gewaltfördernde Strukturen auf. Sie sind sich bewusst, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt zu ihren Adressat:innen gehören und sich unter den Teil nehmenden ihrer sexualpädagogischen Veranstaltungen befinden können. Sie wissen um fachliche Unterstützungsmöglichkeiten und verfügen über ein entsprechendes Verweisungswissen. Sie vernetzen sich und kooperieren mit Fachkräften aus den Bereichen Prävention, Intervention, Beratung und Therapie.
1.7. Sexualpädagoginnen der gsp vertreten eine offene pädagogische und didaktische Haltung. Sie wenden sich nach Kräften gegen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts sowie manipulierende Beeinflussungen und unterstützen die Entwicklung selbstbestimmter Lebensweisen.
2.1. Sexualpädagog:innen der gsp vertreten ein Menschenbild, das davon ausgeht, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, selbstbestimmt und verantwortlich Sexualität zu leben oder auch nicht zu leben. Sie wissen aber auch um die Bedeutung zugewandter und kenntnisreicher Begleitpersonen bei der Gestaltung des eigenen sexuellen Lebens. Je nach geistigem und körperlichem Zustand können Menschen durch Assistenz, insbesondere auch professionelle Sexualassistenz, in die Lage versetzt wer den, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben.
2.2. Sexualpädagog:innen der gsp wissen darum, dass sich in Sexualität alles ausprägen und ereignen kann, was das Leben an positiven und negativen Erfahrungsmöglichkeiten bietet. Sexualpädagog:innen der gsp stellen sich der Verantwortung die Lebenssituation, Intimsphäre, Schamgrenzen, Rechte und individuelle Ziele der Menschen möglichst diskriminierungsarm zu achten.
2.3. Sexualpädagog:innen der gsp wissen um unterschiedliches Erleben und Bedeutung von Sexualität bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie unterscheiden zwischen einem engen und einem weiten Sexualitätsbegriff. Sie berücksichtigen Verschiedenheit und vielfältige Lebensweisen und legen Wert auf eine lebensalters- und entwicklungsangemessene Wissens- und Kompetenzvermittlung.
2.4. Sexualpädagog:innen der gsp wissen um die besondere Neugierde, Risikobereitschaft und das Schutzbedürfnis von Heranwachsenden. Die verantwortungsvolle Berücksichtigung dieses Wissens zeigt sich bei der personen- und situationsbezogenen Anregung von Lernerfahrungen, der vorausschauenden Begleitung selbstbestimmter Entwicklungsschritte und Hilfen zur Bewältigung von Herausforderungen.
2.5. Sexualpädagog:innen der gsp wirken in der frühkindlichen sexuellen Bildung im Sinne der Kinderrechte und des Kindeswohls anwaltschaftlich. Auf dieser Grundlage streben sie eine Erziehungspartnerschaft mit den Eltern sowie anderen Personensorgeberechtigten und Erzieher:innen an und regen entsprechende Begegnungen in der Elternarbeit und Familienbildung an.
2.6. Sexualpädagog:innen der gsp unterstützen Menschen dabei, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben. Dazu zählt auch die selbstbestimmte Entscheidung über die aktive und/oder passive Teilnahme an sexualpädagogischen Veranstaltungen. Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss auf den individuellen und situativ möglichen Grad an Selbstbestimmung haben. Dazu gehören z.B. die individuelle Sozialisation, eine sich entwickelnde Gruppendynamik und Gruppendruck sowie institutionelle Rahmenbedingungen wie etwa die Pflicht zu Teilnahme am schulischen Sexualkundeunterricht. Sexualpädagog:innen der gsp wissen darum und nutzen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht aus. Sie weisen bspw. zu Beginn jedweder Angebote darauf hin, dass keine Verpflichtung zur (aktiven) Beteiligung besteht. Ihre Aufgabe ist aber auch, Menschen zu ermöglichen, ihr Recht auf den Zugang zu sexualitätsrelevanten Informationen wahrzunehmen. Sie ermuntern deshalb durch didaktische Umsicht und angemessene methodische Impulse zur Teilnahme und nutzen ihr Know-how, um Gruppendruck oder Selbstnötigung zu bestimmten Verhaltensweisen zu entkräften.
2.7. Sexualpädagog:innen der gsp halten sich an die Datenschutzrichtlinien der Europäischen Union sowie gesetzliche Regelungen zur Verschwiegenheit, sofern diese aufgrund ihres beruflichen Kontextes für sie gelten. Sie geben personenbezogene Informationen, die sie im beruflichen Kontext erfahren haben, nur dann weiter, wenn sie aus rechtlichen Gründen offenbart werden müssen und/oder die Menschen dazu ihre Einwilligung geben. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Mitwirkung im Kinderschutz gemäß § 8a/b SGB VIII sowie § 4 KKG.
2.8. Die Professionsangehörigen reflektieren die (Sexual-)Kultur in den Einrichtungen, in denen sie wirken, z.B. den Umgang mit Macht, Nähe, Körperlichkeit, Erotik und Gender, der sich in Klima, Regeln, Umgangsformen, Sprache, Ritualen und grundlegenden Werten der Institution zeigt. Dabei erkannte Missstände werden den Einrichtungen zurückgemeldet.
2.9. Sexualpädagog:innen der gsp sind sich ihres Einflusses bewusst und reflektieren ihre Grenzen. Sie verstehen ihr professionelles Handeln als Angebot zur Selbstreflexion und Kompetenzerweiterung im Umgang mit eigenen (persönlichen) Erfahrungen und Entscheidungssituationen.
3.1. Sexualpädagog:innen der gsp verfügen in der Regel über eine humanwissenschaftliche, insbesondere pädagogische Grundausbildung sowie über eine darin integrierte oder zusätzlich erworbene spezifisch sexualpädagogische Qualifizierung, die den Anforderungen des Q-Siegels entsprechen sollte. Sie arbeiten in allen Berufsfeldern, in denen Sexualaufklärung, Sexualerziehung und sexuelle Bildung von Bedeutung sind und fördern das interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenwirken. Sie sind mit den Erkenntnissen der Sexualwissenschaft vertraut.
3.2. Durch Selbststudium, Teilnahme an Bildungsmaßnahmen und Fachzusammenkünften sowie durch die seriöse Evaluation ihrer Tätigkeit beteiligen sich Sexualpädagog:innen der gsp an der fachspezifischen und methodisch-didaktischen Entwicklung ihrer Disziplin und wirken bei der Weiterentwicklung sexualpädagogischer Theorie und Praxis mit.
3.3. Sexualpädagog:innen der gsp kooperieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Hoch- und Fachschulen, mit anderen Bildungsstätten und Fachverbänden in der Sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen Tätigen sowie Selbsthilfeinitiativen und Aktivist:innen(gruppen).
3.4. Sexualpädagog:innen der gsp engagieren sich soweit möglich berufsständisch, um ihre Profession zu qualifizieren und gesellschaftlich sichtbar zu machen und vertreten sie gegenüber anderen pädagogischen sowie nicht-pädagogischen Professionen.
3.5. Sexualpädagog:innen der gsp nutzen kollegiale Beratung und Supervision und/oder nehmen bei Bedarf Beratung und Hilfe in Anspruch – insbesondere bei Konflikten oder Dilemmata in der beruflichen Beziehung.
3.6. Sexualpädagog:innen der gsp beteiligen sich fachlich und ethisch an der Gestaltung von Sexualkultur. Sie würdigen, dass es unterschiedliche Positionen darüber gibt, was sexualkulturell als angemessen und bereichernd gilt, und verpflichten sich zu einer respektvollen Auseinandersetzung.
3.7. Sexualpädagog:innen der gsp machen Kolleg:innen darauf aufmerksam, wenn berufsethische
Grundsätze verletzt werden. Führt ein kollegiales Gespräch nicht zu einer Änderung, wird der Vorstand bzw. der Ethikausschuss der gsp informiert und trägt zu einer Klärung bei. Auch Nicht-Mitglieder können bei Nicht-Beachtung der berufsethischen Standards durch ein Mitglied den Vorstand informieren. Diese werden dem Ethikausschuss vorgelegt und geprüft.