In unseren FAQs finden Sie Antworten auf häufige Fragen rund um Sexuelle Bildung. In der unten stehenden Literatursammlung sind verschiedene Empfehlungen für eine tiefere Beschäftigung mit dem Thema gelistet.
Die FAQs wurden im September 2015 aktualisiert und überarbeitet. Vielen Dank an die vielen Kolleg:innen, die daran mitgearbeitet haben.
Neben der Vermittlung von Wissen über den Körper zählen Selbstbestimmung und Anerkennung zu den wichtigsten Zielen. Sexualerziehung will zu einer selbstbestimmten Sexualität befähigen. Selbstbestimmt ist Sexualität dann, wenn eine Person selbst und frei von macht- oder gewaltvoller Beeinflussung entscheiden kann, wer ihr nahe sein darf, welche Berührungen als angenehm empfunden werden und welche nicht. Menschen sollen gestärkt werden, die lustvollen Seiten des Körpers, der Sinne und der Berührungen mit sich selbst und anderen zuzulassen. Dies ist wichtig, damit das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein wachsen können. Sexualpädagogik bestärkt und befähigt Menschen das auszudrücken, was sie möchten und was sie nicht möchten. Auf diese Weise gelingt es ihnen besser wahrzunehmen, was ihnen gut tut und was nicht.
Anerkennung meint, Menschen in ihrer Individualität persönlich zu achten, rechtlich zu unterstützen und sozial wertzuschätzen. Das bedeutet, dass Unterschiede zwischen Menschen anerkannt werden und keine Grundlage von Ausgrenzung oder Abwertung sein dürfen. Dies betrifft das Geschlecht, die Herkunft und eine Behinderung, aber auch die sexuelle Orientierung, wie z.B. Hetero-, Homo- und Bisexualität und die Geschlechtsidentität. Niemand darf aufgrund eines dieser Merkmale über weniger Rechte oder Anerkennung verfügen.
Sexualpädagogik findet sowohl in schulischen als auch in außerschulischen Kontexten statt und reagiert zunächst auf Fragen der Kinder und Jugendlichen. Sie brauchen altersangemessene Informationen über körperliche und seelische Vorgänge. Dazu gehört, auch über sexuelle Vorgänge und Erfahrungen sprechen zu können und Wissen zu erhalten, um eigene Erlebnisse sowie ihr Umfeld besser einordnen zu können. Dies kann bedeuten, zu informieren und Gespräche darüber zu ermöglichen, wie Kinder entstehen und heranwachsen, dass jedes Kind besonders ist und ein Recht darauf hat, vor Abwertung und Ausgrenzung geschützt zu werden. In der Pubertät kommen andere Themen hinzu, z.B. wenn die erste Regelblutung einsetzt oder wenn sexuelle Bilder gesehen wurden, die verwirren oder ängstigen. Manche Jugendliche wollen wissen, wie man sich im Internet vor Bloßstellung schützen kann, welche unterschiedlichen Familienformen es gibt oder was gleichgeschlechtliche Gefühle bedeuten und vieles mehr. Zudem vermittelt Sexualpädagogik, wie Beziehungen gelebt und Konflikte gelöst werden können.
Nein, Sexualpädagogik bewirkt keine „Sexualisierung“ von Kindern, sondern sie fördert ihre Kompetenz, mit vorhandenen sexuellen Gefühlen, Gedanken, Wünschen und Ausdrucksformen selbstbestimmt, verantwortlich und gewaltfrei umzugehen. Schulische Sexualerziehung ist durch einen Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1968 nach dem fächerübergreifenden Prinzip geregelt. 90% der Jugendlichen geben in der Studie „Jugendsexualität“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA 2010) an, Sexualaufklärung in der Schule gehabt zu haben. Keine andere Quelle der Sexualaufklärung wird häufiger genannt als die Schule. Im Schulunterricht werden vor allem die Themen Schwangerschaftsverhütung und Prävention von Geschlechtskrankheiten behandelt. Kinder und Jugendliche wollen aber mehr wissen, weil verschiedene Formen der Sexualität in ihrer Alltagsrealität präsent sind. Über vieles möchten sie mit ihren Eltern oder Lehrkräften nicht sprechen, da es ihnen peinlich ist. Hier bieten externe Expert:innen, z. B. von pro familia, dem Sozialdienst katholischer Frauen, der Diakonie, der AWO oder Aufklärungsprojekten Jugendlichen die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über Fragen, Themen und Unsicherheiten zu sprechen.
Menschen sind zudem sexuelle Wesen von Anfang an. Schon bei Föten und Säuglingen kann eine Erregung der Geschlechtsorgane beobachtet werden (Schuhrke 2014). Wichtig ist, dass der Begriff Sexualität in fachlichen Diskursen im Vergleich zum Alltagsverständnis nicht auf Geschlechtsverkehr reduziert ist, sondern sehr weit gefasst wird: Zärtlichkeit, Schmusen oder Flirten können auch darunter verstanden werden (siehe auch die Frage „Ab welchem Alter sollte man Kinder mit dem Thema Sexualität konfrontieren?“). Unter dieser Prämisse leuchtet ein, dass Kinder sexuelle Situationen ganz anders als Erwachsene erleben und ihnen aufgrund ihrer relativ geringen Lebenserfahrung nicht dieselbe Bedeutung beimessen. Daher wird in der Sexualwissenschaft zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität unterschieden (vgl. Schmidt 2012). Um Kinder in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zu unterstützen, ist es wichtig körperliche und sexuelle Aspekte wahrzunehmen und zu thematisieren.
Sexualerziehung ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977 der Schule ebenso wie den Eltern als Aufgabe übertragen. Nicht alle Eltern sind gesprächsbereit und nicht in jedem Elternhaus findet Aufklärung statt. Es gilt also nicht nur das Recht der Eltern aufzuklären, sondern auch das Recht der Kinder, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Pädagog:innen können hier eine hilfreiche Ergänzung bzw. Ersatz bieten.
Nein, eine „Sexualpädagogik der Vielfalt“ dient weder der Verwirrung noch der „Sexualisierung“ von Kindern und Jugendlichen. Sie zielt vielmehr auf einen selbstbestimmten, gewaltfreien und anerkennenden Umgang mit den vorhandenen sexuellen Gefühlen, Gedanken, Fähigkeiten und Wünschen. Dabei arbeitet sie – wie jede (Sexual)Pädagogik – stets zielgruppenorientiert und altersangemessen. Jede Übung, die zum Beispiel im Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ enthalten ist, ist als Vorschlag oder Anregung für die Lehrkraft bzw. Pädagog:in zu verstehen und ermöglicht es, Themen, die in der Jugendgruppe präsent sind, aufzugreifen. Lehr- oder Fachkräfte müssen jedoch entscheiden, ob eine Übung zur Zielgruppe und zur eigenen Persönlichkeit passt oder nicht. Kindern und Jugendlichen Informationen zu verweigern, nach denen sie fragen, verwirrt sie mehr, weil sie mit ihren Fragen oder ihrem Halbwissen alleingelassen werden. Demgegenüber hilft Wissen, Eindrücke, Gefühle oder Erfahrungen besser einzuordnen. Dies gilt beispielsweise für eine Körperaufklärung, die Veränderungen in der Pubertät besser verstehen lässt oder für die Wahl des geeigneten Verhütungsmittels, aber auch wenn es darum geht, pornografische Bilder einzuordnen.
Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit. Sie umfasst das Verhältnis zum eigenen Körper und zum Geschlecht. Zudem hat sie auch Auswirkungen auf die Liebes- und Lebensweisen von Menschen. Die pädagogische Begleitung beim Thema Sexualität lässt sich daher nicht künstlich in Körperaufklärung, Moralerziehung, Geschlechtserziehung, Anti-Diskriminierung und Prävention von sexuellen Übergriffen aufteilen. Die Bearbeitung dieser Themen bildet zusammen eine ganzheitliche Sexualpädagogik. Gerade deshalb ist Sexualerziehung von der KMK nach dem fächerübergreifenden Prinzip und von den einzelnen Bundesländern in Richtlinien verankert worden. Manche Kinder und Jugendliche werden gerade wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks diskriminiert und sind gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Sie brauchen die Unterstützung und die Begleitung aller Lehrkräfte, Eltern und ggf. von Beratungseinrichtungen. Daher ist Sexualpädagogik auch Anti-Diskriminierungsarbeit. Bestandteil einer jeden sexualpädagogischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Vielfalt und die Auseinandersetzung mit individuellen Grenzen, mit gesellschaftlichen Machtstrukturen und sexualisierter Gewalt. Sexualpädagogik ist in diesem Sinne immer Gewaltprävention, denn sie zielt auf die Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Henningsen/ Beck 2014). Kinder und Jugendliche sollten ihre eigenen Gefühle, ihre eigenen Grenzen und die der anderen wahrnehmen können und wissen, was sie wollen bzw. was sie nicht wollen.
Die Sexualpädagogik konfrontiert Kinder und Jugendliche nicht mit Sexualität, sondern sie ermöglicht es ihnen altersangemessen, zielgruppenorientiert und wertschätzend mit sich selbst, ihren Fragen und dem, was sie in ihrer Lebenswelt wahrnehmen, selbstbestimmt umzugehen. Kinder kommen – meist durch Gleichaltrige oder Medienkonsum – sehr früh mit verschiedenen Themen in Berührung und stellen sich Fragen: Conchita Wurst bzw. Neo gewinnt den Eurovision-Song-Contest, der Ex-Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, Thomas Hitzlsperger, outet sich als homosexuell, im Kindergarten erzählt ein Kind davon, dass es zwei Mütter hat. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt existieren, sie sind im Leben von Kindern und Jugendlichen schon früh präsent.
In diesem Zusammenhang sollte beachtet werden, dass in fachlichen Diskursen ein weiter Begriff von Sexualität verwendet wird, der sich vom Alltagsgebrauch unterscheidet. Während Sexualität im Alltag meist Geschlechtsverkehr meint und ein enges Verständnis zugrunde gelegt wird, umfasst der Begriff in Fachdebatten ein weites Bedeutungsspektrum, z. B. auch Streicheln, zärtliche Berührungen, Flirten oder erotische Fantasien und Träume (vgl. Sielert/ Valtl 2000, 170 f).
Nein, sich kritisch auseinanderzusetzen heißt ja, interessiert zu sein, etwas wissen zu wollen und sich nicht alles einreden zu lassen. Viele sind durch mediale Anti-Sexualerziehungskampagnen verunsichert und interessieren sich nun für Sexualpädagogik. Kinder, Jugendliche und ihre Eltern haben ein Recht auf sexuelle Bildung. Sie brauchen Informationen über das, was wirklich in der Sexualerziehung passiert. Die Überlegungen, Kinder und Jugendliche von Sexualerziehung fern zu halten oder sie nicht zu informieren, garantiert gerade nicht eine ungestörte Entwicklung, sondern ist ein Beitrag zur Fremdbestimmung und führt zu Verwirrung und Unsicherheit. Denn so werden erste körperliche und sexuelle Erfahrungen tabuisiert, es kann keine angemessene Sprache dafür entwickelt werden und keine Grundlage für einen selbstbestimmten Umgang mit körperlichen oder sexuellen Regungen gelegt werden. Eine verhinderte oder verspätete Sexualerziehung ist ein Einfallstor für sexualisierte Gewalt, weil Kinder nicht in die Lage versetzt werden, das, was ihnen widerfährt, einzuordnen, sich zu wehren oder sich Hilfe zu holen. Zudem kann eine selbstbestimmte Sexualität durch mangelnde Informationen über Verhütung oder Möglichkeiten der Lebens- und Partnerschaftsgestaltung stark eingeschränkt oder verhindert werden.
Literaturempfehlungen
Für die Inhalte sind die Autor:innen verantwortlich.
- Timmermanns, Stefan/ Böhm, Maika (Hrsg.): Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Interdisziplinäre Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020. https://www.beltz.de/fachmedien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/buecher/produkt_produktdetails/38332-sexuelle_und_geschlechtliche_vielfalt.html
- Mantey, Dominik: Sexualpädagogik und sexuelle Bildung in der Heimerziehung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020
- Mantey, Dominik: Sexualerziehung in Wohngruppen der stationären Erziehungshilfe aus Sicht der Jugendlichen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2019.
- Prof. Dr. Annelinde Eggert-Schmid Noerr, Joachim Heilmann und Ilse Weißert (Hrsg) Oktober 2017: Unheimlich und verlockend. Zum pädagogischen Umgang mit Sexualität von Kindern und Jugendlichen. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2017. 280 Seiten. ISBN 978-3-8379-2719-1. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR. Rezension
- Schmidt / Sielert / Henningsen: Gelebte Geschichte der Sexualpädagogik. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017.
- Sielert/Marburger/Griese (Hrsg.): Sexualität und Gender im Einwanderungsland. Öffentliche und zivilgesellschaftliche Aufgaben – Ein Lehr- und Praxishandbuch. De Gruyter (Berlin und Boston) 2017.
- Henningsen, Anja / Tuider, Elisabeth / Timmermanns, Stefan (Hrsg.) Sexualpädagogik kontrovers. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2016.
- Tuider, Elisabeth / Müller, Mario / Timmermanns, Stefan / Bruns-Bachmann, Petra / Koppermann, Carola (Hrsg.): Sexualpädagogik der Vielfalt: Praxismethoden zu Identitäten, Beziehungen, Körper und Prävention für Schule und Jugendarbeit, 2. überarbeitete Auflage, Edition Sozial. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012.
- Sielert, Uwe / Timmermanns, Stefan: Expertise zur Lebenssituation schwuler und lesbischer Jugendlicher in Deutschland. Eine Sekundäranalyse vorhandener Untersuchungen. Deutsches Jugendinstitut (München) 2011. Expertise als pdf.
- Schmidt, Renate-Berenike / Schetsche, Michael (Hrsg.)
Körperkontakt. Interdisziplinäre Erkundungen. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2012. - Schroedter, Thomas/ Vetter, Christina: Polyamory. Eine Erinnerung. Schmetterling Verlag (Stuttgart) 2010.
- Schmidt, Renate-Berenike/ Schetsche, Michael (Hrsg.): Sexuelle Verwahrlosung. Empirische Befunde – Gesellschaftliche Diskurse – Sozialethische Reflexionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2010.
- Schmidt, Renate-Berenike/ Schetsche, Michael: Sexuelle Sozialisation. Sechs Annäherungen. Logos-Verlag (Berlin) 2009.
- Schmidt, Renate-Berenike/ Sielert, Uwe (Hrsg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2008.
- Timmermanns, Stefan/ Tuider, Elisabeth/ Sielert, Uwe (Hrsg.): Sexualpädagogik weiter denken. Zur Verortung der Sexualpädagogik im Spannungsfeld von Sexualität und Gesellschaft. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2004.
- Schmidt, Renate-Berenike: Lebensthema Sexualität. Sexuelle Einstellungen, Erfahrungen und Karrieren jüngerer Frauen. Leske + Budrich (Opladen) 2003.
- Bartholomäus, Wolfgang: DerDieDas Andere geht mich an. Sexualität für Erziehung ethisch denken – in der Spur Emmanuel Levinas‘. Peter Lang (Frankfurt am Main) 2002.
- Hartmann, Jutta: Vielfältige Lebensweisen. Dynamisierungen in der Triade Geschlecht – Sexualität – Lebensform. Kritisch-dekonstruktive Perspektiven für die Pädagogik. Leske + Budrich (Opladen) 2002.
- Milhoffer, Petra: Wie sie sich fühlen, was sie sich wünschen. Eine empirische Studie über Mädchen und Jungen auf dem Weg in die Pubertät. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2000.
- Sielert Uwe/ Valtl, Karlheinz (Hrsg.): Sexualpädagogik lehren. Didaktische Grundlagen und Materialien für die Aus- und Fortbildung. Beltz (Weinheim) 2000
- Schmidt, Renate-Berenike/ Schetsche, Michael: Jugendsexualität und Schulalltag Leske + Budrich (Opladen) 1998.
- Valtl, Karlheinz: Sexualpädagogik in der Schule. Primar- u. Sekundarstufe. Didaktische Analysen und Materialien für die Praxis. Beltz (Weinheim) 1998.