Kolumne: „Aus dem Leben einer Sexualpädagogin“ – Teil 6 von Daniela Hoch2
Sommer, Sonne, nackte Kinder…! Elternabende in Kitas boomen besonders zur Sommerzeit. Wenn Kinder nicht verstehen, warum sie Kleidungsstücke anbehalten sollen, Erzieher*innen und Eltern hinter Busch, Zaun und Gardine die Spanner wittern oder der letzte Elternabend vor dem Wechsel in die Schule ein besonderes i-Tüpfelchen bekommen soll, sind Sexualpädagog*innen begehrte Fachkräfte.
Heute ist bei mir Bürotag: Ich sitze für die Nachbearbeitung bei mir am Schreibtisch und lasse die letzten Elternabende Revue passieren.
Eigentlich ist es überall das gleiche Thema, im Grunde bewegen die Eltern sehr ähnliche Fragen und trotzdem erlebe ich immer wieder Veranstaltungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Setting 1: Elternabend in Nord-Neukölln. Eine Gruppe von Eltern, ca. 15-20, sind gekommen (für einen kleinen Kinderladen ganz beschaulich), skeptische Begutachtung meiner Person und Misstrauen gegenüber dem Thema. Schnell ist deutlich, dass der überwiegende Teil der Anwesenden Migrationserfahrungen mitbringen und der muslimische Glaube ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens ist. Freund*innen denen ich von diesem Termin im Vorfeld erzählte, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und wollten mir überschwänglich Mitleid entgegenbringen…Mir sind diese Ausbrüche bekannt, jedoch decken sie sich nicht mit meinen Erfahrungen in der Praxis, weshalb sie mich immer wieder ärgern.
Bei den Eltern startete ich also wie immer mit meinem Anfangsimpuls und hatte sehr schnell sehr aufmerksame, wachsame und neugierige Gegenüber. Es dauerte nicht lange und die Fragen sprudelten, wir lachten gemeinsam und der Elternabend dauerte eine Stunde länger als ursprünglich geplant.
Setting 2: Prenzlauer Berg, kirchlicher Träger, hohe Anwesenheit, weiße Akademische Mittel- und Oberschicht, reservierte Atmosphäre. Ich schaue in die Gesichter und beginne mich zu fragen: Was machen wir hier eigentlich? Meine Gegenüber halten sich für umfangreich aufgeklärt und ohne Bedarfe, was die altersangemessene Aufklärung ihrer Sprösslinge betrifft. Da wundert es mich doch, als ein Vater folgende Erfolgsgeschichte seines 6-jährigen Sohnes schildert „Mein Sohn fragt mich seit Jahren regelmäßig, wie die kleinen Babys entstehen und ist immer zufrieden mit folgender Antwort: Babys entstehen, wenn Mama und Papa sich liebhaben und kuscheln.“
Da frage ich mich doch erst ganz leise und dann doch laut in der Gruppe: Wäre die Antwort zufriedenstellend , würde er dann nicht aufhören regelmäßig und jahrelang die gleiche Frage zu stellen? Dies ist der Auftakt für mehr Mut gegenüber der Unsicherheit und plötzlich sind doch ganz viele Fragen im Raum und die Gruppe wird munter.
Erleichterung wird spürbar durch das Abwenden ungewollter Schwangerschaften durch Kuscheln.
Setting 3: Mariendorf, große Kita, Anwesenheit 40 Erzieher*innen und 5 Elternteile.
Stimmung interessiert und neugierig. Frustration seitens der Kita-Leitung aufgrund der geringen Elternbeteiligung, nachdem diese Infoveranstaltung im Vorfeld konkret und vielfach eingefordert wurde.
Schnell kippt der Abend zu einer Kurz-Fortbildung. Plötzlich dürfen die handvoll Eltern bei wildesten Team-Auseinandersetzungen hospitieren und Einblicke in die Unsicherheiten der Bezugspersonen ihrer Schützlinge ergattern. Für sie überraschend wird deutlich, dass auch die pädagogischen Fachkräfte Ängste Unsicherheiten und Fragen teilen.
Manche Menschen gehen Abends ins Kino, manche schauen eine Komödie, manche ein Drama und andere einen Horrorfilm.
Bei der Durchführung eines Elternabends erlebe ich manchmal alles gleichzeitig, denn in jeder Kita läuft ein anderer Film.