Kolumne „Aus dem Leben einer Sexualpädagogin“ – Teil 1 von Daniela Hoch2
Heute sitze ich mal wieder in einem Stuhlkreis mit einer achten Klasse. Nach einer konzentrierten Arbeitsphase, entsteht eine kleine Truppe rechts hinten, die sich köstlich amüsiert … über was, ist ihnen glaube ich auch nicht ganz klar. Links von mir empfängt jemand im Sekundentakt vibrierende Nachrichten und drei Plätze weiter versuchen zwei gähnend die Belanglosigkeit des Themas zu demonstrieren.
Die Aufmerksamkeit im Raum orientiert sich in viele verschiedene Richtungen, bis ich die anonyme Fragerunde ankündige, eine der beliebtesten sexualpädagogischen Methoden mit Jugendlichen. „Ich erkenne keine Handschrift, lege keinen Wert auf korrekte Rechtschreibung und heiße ALLE Fragen Willkommen. Nehmt bitte für jede neue Frage einen neuen Zettel!“ Alle stürzen los, schreiben und kichern…
Ich freue mich besonders auf die vermeintlich peinlichen Fragen, die sich nur selten getraut werden, an Erwachsene zu adressieren.
Es werden sicherlich auch diesmal nicht außerordentlich spektakuläre Themen sein, sondern Fragen, die allgegenwärtig sind, aber von Medien, Erwachsenen und der Peergroup scheinbar nur unzureichend beantwortet werden – sonst würden sie wahrscheinlich nicht (auch immer wieder) in der anonymen Fragebox landen.
Ich sammel die Fragen ein und sortiere thematisch: Pubertät, Verhütung, erstes Mal, verliebt sein, Schwangerschaft, nervige Eltern/Geschwister, sexuelle Vielfalt, Anatomie, Sex konkret, Geschlechtsidentität. Nicht zu vergessen die Fragen, die ganz an mich persönlich gerichtet sind…
Besonders häufig ist heute wieder dabei:
„Warum tut das erste Mal weh?“. Eine Frage die regelmäßig und mehrfach in der Box zu finden ist, auch wenn sich zahlreiche Jugendmedien gerade mit dieser Thematik auseinandersetzen. Als ich bei der Beantwortung dieser Frage angekommen bin, ist es extrem still und ich blicke in viele große Augen. Ich starte das Gespräch mit Rückfragen: Was ist das erste Mal? Wo fängt Sex an? Wir diskutieren und sprechen auch darüber, wer eigentlich mit wem Sex haben kann. Wie immer landet das Gespräch danach bei anatomischen Fragen, wie: Wer war nochmal „Jungfernhäutchen“? Und: Haben das eigentlich alle? Und was kann beim Sex eigentlich alles weh tun? Kann beim Penis etwas kaputt gehen? Ist „weh tun“ immer körperlich?
Jetzt gelangen wir wieder zu den Gefühlen und fragen uns, „was wissen wir über Aufregung, Nervosität und Angst?“ Dann erzähle ich ihnen etwas über die Verbindung von Gefühlszuständen und Muskelreaktionen. Spannenderweise schließt sich hier häufig die Frage an: „Wer glaubt eigentlich, dass Schmerzen dazu gehören, bzw. dass Jungen sich darüber keine Sorgen machen?“ Um den gemeinsamen Spaß beim Sex wieder in den Raum zu bringen, frage ich provokant: Was passiert eigentlich beim zweiten Mal? Ein guter Auftakt, um darüber zu sprechen, wie Sex besonders schön, umsichtig, zärtlich, liebevoll, ohne Schmerzen, aufregend, lustvoll, angstfrei, humorvoll, experimentierfreudig, im Konsens und vielleicht auch in seiner Unvollkommenheit gestaltet werden kann.
Ich schaue auf die Uhr, über die Hälfte der neunzig Minuten sind schon vorbei, die Themen sind spannend und trotzdem muss ich die Aufmerksamkeitsspanne von Pubertierenden einplanen. Ein heikles Unterfangen, aber was soll ich sagen…Ich liebe diesen Job!
Verfasst von:
Daniela Kühling und Daniela Stegemann