Kolumne: „Aus dem Leben einer Sexualpädagogin“ – Teil 7 von Daniela Hoch2
Puh, ich bin erschöpft. Ganztägige Projekttage sind doch immer wieder eine Herausforderung, auch wenn es Spaß macht. Die Gelegenheit in Ruhe und mit weniger Druck mit einer Gruppe zu arbeiten, bietet sich leider viel zu selten. Diesmal war es wieder besonders spannend, da es eine Gruppe von Oberstufen-Schüler*innen war, mit der ich den Tag gestaltet habe. In dieser Klassenstufe wird auf ganz anderer Ebene diskutiert und auch die Erfahrungen und Fragen sind andere als bei Klassenstufe 6 oder 7.
Ein heiß diskutiertes Thema war heute, wie so oft, der Anal-Verkehr. Aus der anonymen Fragebox zog ich folgende Frage: „ Wie kann ich meinem Freund sagen, dass ich Anal-Verkehr gut finde? Denkt er dann, ich bin eklig?“
In der Gruppe herrscht ein großes Vertrauen, dennoch geht ein großes Raunen durch die Runde…
Der Blick der Gruppe bleibt an einem Jungen hängen, der schon länger als schwul geoutet ist. Dieser ergreift sofort empört das Wort und sagt aufgeregt: „Jetzt kuckt mich nicht alle so blöd an, die Frage war gar nicht von mir! Warum denkt ihr immer, dass Schwule alle auf Anal-Verkehr stehen, es gibt auch viele andere Möglichkeiten….also seid doch nicht so Klischee!“ Ich wittere meine Chance, den Anlass zu nutzen, um darüber zu sprechen, welche Standards es zu gelebter Sexualität gibt und wie wenig sie oftmals mit der Realität zu tun haben. Da klinken sich gleich zwei Jungs und ein Mädchen mit ein und erzählen, dass sie in Beziehungen schon öfters das Gefühl hatten, durch diese Normen eingeschränkt und unter Druck gesetzt zu werden.
Sehnen sich immer alle Frauen nach Vaginal-Verkehr? Ist für jeden Mann Oral-Verkehr die größte Freude? Beinhaltet „richtiger“ Sex immer Penis-Penetration via Vulva? Und wie sieht es eigentlich mit Abspritzen auf Körperteilen aus? Ich habe das Gefühl pornografische Standards erfüllen den Raum, auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Gleichzeitig diskutieren wir, was Zeitschriften, Werbung und Mainstreamfilme an Vorgaben zu Sexualität etablieren.
In der Regel geht es hier um Tipps, was Mädchen tun sollen, um Jungen zu gefallen. Mädchen sollen fern ihrer eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu perfekten und willigen Liebhaberinnen gemacht werden, was umgekehrt die Gruppe der Jungen zu einem homogenen, gierigen und eindimensionalen Einheitsbrei degradiert. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt? Gibt´s in dem Modell nicht! Wobei das Bild vom „lesbischen“ antörnen zur Befriedigung von heterosexuellen Männern nicht zu vernachlässigen ist.
Obwohl die Klasse sehr aufgeklärt wirkt, werfe ich zur Sicherheit noch folgende Frage ein: Kann man eigentlich bei Anal-Verkehr schwanger werden.? Und Volltreffer, mein Bauchgefühl lag richtig. Auch wenn mir eine klare Verneinung entgegenschwallt, drei unsichere Gesichter habe ich mindestens wahrgenommen. Und schwupps sind wir beim Thema Jungfräulichkeit gelandet. Wie praktisch, Anal-Verkehr als Möglichkeit das heißbegehrte Häutchen zu schützen und trotzdem auf Penis-Penetration nicht verzichten zu müssen.
Ein Weg, den viele Jugendliche für sich wählen. Ich frage amüsiert in die Runde: was war nochmal Jungfräulichkeit…?
Zu Hause angekommen, geht mir die Diskussion mit dem Anal-Verkehr nicht aus dem Kopf. Mir ist in den letzten Jahren deutlich aufgefallen, dass es ein präsentes Thema unter Jugendlichen ist. Es gibt fast keine Klassen mehr, in denen nicht mindestens eine Frage zu diesem Thema in der anonymen Box landet. Hier werde ich manchmal zu einer besorgten Sexualpädagogin. Achten die Jugendlichen immer auf ihre Bedürfnisse und Grenzen? Wissen sie, wie sie sich vor Verletzungen und ungewollten Schmerzen schützen können? Bräuchten sie differenziertere Infos über Safer-Sex?
Warum ist es eigentlich so, dass Vaginalverkehr als Standard thematisiert wird und Anal-Verkehr in einer tabuisierten Schmuddelecke steckt? Gibt es eine Hierarchie von Körperöffnungen? Ist doch Kacke…