Stellungnahme der Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp) zur bundeseinheitlichen Regelung der Kostenübernahme von Verhütungsmitteln

Stellungnahme der Gesellschaft für Sexualpädagogik (gsp) zur bundeseinheitlichen Regelung der Kostenübernahme von Verhütungsmitteln (Drucksache 19/226)

Die Gesellschaft für Sexualpädagogik vereinigt als Fachgesellschaft und Professionsverband in Deutschland die freiberuflich oder in Einrichtungen des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen arbeitenden Fachkräfte der sexuellen Bildung sowie Ausbildungsinstitutionen wie das Institut für Sexualpädagogik in Dortmund. Die gsp bündelt durch eigene Forschung sowie die Erfahrungen ihrer Mitglieder auch Kompetenzen auch auf dem Gebiet der Familienplanung, insbesondere der Anwendung von Verhütungsmitteln. Sowohl die Sexualpädagog*innen als auch Sexualberater*innen werden in ihrer Praxis mit den finanziellen und sozialen Einschränkungen konfrontiert, denen insbesondere Frauen aber auch Männer bei einer
verantwortungsvollen Familienplanung ausgesetzt sind.

Diese Erfahrungen aus der sexualpädagogischen Gruppenarbeit wie auch der Beratungspraxis bestätigen, was schon 2007, also drei Jahren nach Abschaffung der „Hilfen zur Familienplanung“ nach §§ 36 und 36a BSHG und der Einführung von Hartz IV in einer Studie von Gackle (1) empirisch nachgewiesen werden konnte:

  • 78% der befragten Frauen im ALG II-Bezug gaben an, dass das ALGII für die Finanzierung von Verhütungsmitteln nicht ausreicht.
  • 80% verbinden mit einer Schwangerschaft eine deutliche ökonomische und soziale Verschlechterung ihrer Lebenssituation, die sie vermeiden möchten.
  • Die Quote derer, die immer verhüten sinkt mit Eintritt in ALGII von 67% auf 30% und die Quote derer, die nie verhüten steigt von 5% auf 16%.
  • 62% geben hormonelle Verhütungsmittgel als ‚Wunschverhütung‘ an, aus finanziellen Gründen verwenden die meisten inzwischen das billigere und gezielter einsetzbare Kondom.
  • Konsequenz: Je besser die ökonomischen Verhältnisse sind, desto mehr werden sichere und längerfristige Kontrazeptiva eingesetzt.

Aufgrund der Verwendung unsicherer Verhütungsmittel muss also von einer erhöhten Gefahr ungewollter Schwangerschaften mit entsprechenden Folgekosten für die Gemeinschaft ausgegangen werden. Häufig beobachten Sexualberater*innen, dass die
Männer Kondome aus mangelndem Verantwortungsbewusstsein rigoros ablehnen.

Die Abtreibungskosten von Hartz-IV-Empfängerinnen von etwa 400 € pro Eingriff werden in der Regel vom Staat übernommen. Die Idee, bedürftigen Personen effektive Verhütungsmittel zu finanzieren, ist also nicht nur moralisch vernünftig, sondern
auch unter ökonomischen Gesichtspunkten plausibel. Das gilt übrigens auch für Asylbewerber*innen, deren sozioökonomische Situation den Zugang zu effektiven Kontrazeptiva massiv behindert. Bei allen diesen bedürftigen Personengruppen sollte
das ohnehin gefährdete psychosoziale Wohlbefinden nicht zusätzlich in den Bereichen der Familienplanung und sexuellen Gesundheit noch verstärkt werden.

Die Gesellschaft für Sexualpädagogik rät dazu, die in einzelnen Kommunen bereits praktizierte Kostenübernahme für Verhütungsmittel unter der Voraussetzung des Bezugs von Transferleistungen auszudehnen und bundeseinheitlich zu regeln. Dabei ist wesentlich, dass eine Lösung gefunden wird, bei der die Kosten tatsächlich übernommen und nicht erst nachträglich erstattet werden, weil sie von den bedürftigen Personen nicht im Vorhinein verauslagt werden können. Ein entsprechender Anspruch könnte im Fünften Sozialgesetzbuch festgeschrieben und die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Wünschenswert ist auch, die Kostenerstattung für Notfallkontrazeptiva rückwirkend zu ermöglichen.
Sexualität ist im weitesten Sinne nicht nur wegen der Möglichkeit zur Fortpflanzung von Bedeutung, sondern kann lebenslang zum persönlichen Wohlbefinden und einem befriedigenden Beziehungsleben wesentliches beitragen. Insofern ist nach bereits erfülltem Kinderwunsch oder auch einer bewussten Entscheidung gegen Kinder die Möglichkeit der Sterilisation zu ermöglichen. Angesichts der Notwendigkeit, auch Männern das Bewusstsein zu vermitteln, für die Familienplanung verantwortlich zu sein, sollten die Kosten für einen solchen Eingriff sowohl bei Frauen als auch bei Männern übernommen werden.

Die Gesellschaft für Sexualpädagogik beurteilt die Thematik sowohl aus fachlicher Perspektive also auch unter Berücksichtigung universeller sexuellen und reproduktiven Rechte aller Menschen. Sie legt der Landesregierung Schleswig-Holstein nahe, die Bundesinitiative der Länder Niedersachsen und Bremen für eine bundeseinheitliche Regelung zur Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Personen mit geringem Einkommen zu unterstützen.

Prof. Dr. Stefan Timmermanns
(1. Vorsitzender)

1) http://www.tagesschau.de/inland/statistikhartz100.html sowie Gäckle, Annelene (2007): Familienplanung gibt es praktisch nur theoretisch – Auswirkungen von Hartz IV auf das Kontrazeptionsverhalten von Hartz IV-Empfängerinnen in Nordrhein-Westfalen im Kontext der Schwangerschafts(konflikt)beratung. Masterarbeit Hochschule Merseburg.

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